Im März 2020 infizieren sich immer mehr Menschen in Europa an Corona. Grenzen werden geschlossen, die Lage ist sehr undurchsichtig.
Gleichzeitig haben wir beide Lkw für einen Hilfstransport nach Moldawien geladen, 70% der Ladung sind hochwertige Lebensmittel, die noch 3 Monate haltbar sind und so ohne Probleme als Hilfsgüter nach Moldawien eingeführt werden dürfen.
Doch am Wochenende wird es spannend: Ein Staat nach dem anderen schließt die Grenzen, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu bremsen. Was sollen wir tun? Fahren oder nicht Fahren? Uns ist klar, es liegen schwere Zeiten vor uns, die Hilfe ist wichtiger denn je.
Aus Rumänien kommt die Nachricht, das Deutsche aus dem Landkreis Heimsheim nicht einreisen dürfen. Am Sonntag dann sogar, dass ganz Deutschland zum Risikogebiet gehört und kein Deutscher mehr einreisen darf, bzw. direkt zwei Wochen in die Quarantäne muss. Ungarn schließt die Grenzen komplett.
Am Montagmorgen, eigentlich wollten wir losfahren, wissen wir noch nicht, wie wir uns entscheiden. Ich habe alle Papiere, außer die Anmeldung am Zoll, fertig. In mir reift folgender Plan: Da es nicht sicher ist, ob wir bis nach Moldawien kommen, werde ich erstmalig ein anderes Zollverfahren statt dem carnet TIR anwenden. So bleiben wir flexibel und können, falls Moldawien nicht klappt, auch in Rumänien abladen.
Am Montagvormittag kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die meisten Grenzen für den Lkw-Verkehr, wenn auch eingeschränkt, offen bleiben sollen.
Am Mittag steht unser Entschluss: Wir wagen den Hilfstransport! Schnell noch einkaufen gehen und los geht’s auf die Autobahn. Wir lassen es laufen und kommen ohne Probleme bis zum Rasthof Sankt Valentin. Hier finden wir gerade noch einen Parkplatz für unsere beiden Lkw und haben eine gute Nacht. Am nächsten Morgen möchte ich im Rasthof zur Toilette, alles wegen Corona geschlossen. In ganz Österreich, Ungarn und Rumänien, wie wir später erfahren, sind alle Restaurants geschlossen. Eine Putzfrau schließt mir auf und ich darf auf die Toilette. Dafür bin ich wirklich dankbar.
Während des Frühstücks checke ich die Lage: Nach Ungarn sind für den internationalen Verkehr nur zwei Grenze geöffnet: Nickelsdorf / Hegyeshalom sowie Heiligenkreuz, ganz im Süden Österreichs. Allerdings hat es an unserer Grenze, Nickelsdorf, rund 20 Kilometer Stau, doch auf den Verkehrskameras sieht man, dass der Lkw Verkehr läuft.
Auf leeren Autobahnen fahren wir bis zum Wiener Flughafen und dann über Landstraßen an die Grenze. Mein Hintergedanke ist, dass wir so flexibel bleiben und nicht im Stau gefangen sind. An der Kreuzung vor der Grenze steht Polizei. Ich frage, ob er uns durchlässt auf die Autobahn und nach Ungarn. Er meint, die Grenze ist zu. Ich erwidere, dass sie meines Wissens für Lkw frei ist. Doch er erklärt mir, dass rumänische und bulgarische Autofahrer, die auf der Heimreise sind, aber nicht nach Ungarn reingelassen werden, nun die Autobahn blockieren. Und tatsächlich sehen wir viele Menschen auf der Autobahn zwischen den Autos durch nach vorne laufen.
Wir dürfen auf den Parkplatz bei der Shell-Tankstelle und harren dort der Dinge, die da kommen. Doch es passiert nichts. Die Grenze ist zu, die Busse und Autos bewegen sich keinen Zentimeter. Nach drei Stunden Warten gehe ich nochmals zur Polizei und frage, ob es Hoffnung gibt. Sie verneinen und so beschließe ich, den weiten Weg an die Grenze nach Heiligenkreuz auf uns zu nehmen. Auf schönen, wegen der Ausgangsbeschränkungen sehr leeren Landstraßen fahren wir gen Süden. Plötzlich biegt ein Lkw vor uns in Schachendorf nach Links zur ungarischen Grenze, die direkt hier ist, ab. Wir natürlich hinterher. Er, ein ungarischer Lkw, kann ohne Probleme einreisen, wir müssen umkehren. Weiter geht’s in den Süden.
Kurz vor 18 Uhr erreichen wir endlich die Grenze Heiligenkreuz. Es ist fast nichts los. Gespannt fahren wir an die Kontrollstelle. Die Grenzpolizisten kleben auf unsere Lkw einen Aufkleber: „Transit only“, wir erhalten eine Straßenkarte und werden belehrt, dass wir nur auf einer bestimmten Route durch Ungarn fahren dürfen und nur an vier besonders markierten Parkplätzen anhalten dürfen. Aber wir sind die Ungarn! Wir sind echt dankbar. Ein Stück nach der Grenze halten wir kurz am Straßenrand, um im Fahrerhaus etwas zu essen. Online sehe ich, dass um 21 Uhr ein „humanitärer Korridor“ geöffnet wird und die Autos, die an der ungarischen Grenze warten, durchgelassen werden. Sie müssen genauso wie wir am Stück durchfahren. Auf den Verkehrskameras sehe ich, dass die Fahrzeuge im Stau dort bei Nickelsdorf immer noch genau gleich stehen wie am Morgen. Unsere Entscheidung war genau richtig.
Später höre ich von einem Freund, der auch mit dem Lkw unterwegs ist, dass wir gerade noch rechtzeitig in Heiligenkreuz waren. Um 18:00 Uhr wurde diese Grenze auch geschlossen. Er wollte dort auch rüber und musste 20 Stunden warten.
Ein ungarisches älteres Ehepaar kommt mit Taschenlampe zu uns und fragt, ob wir Hilfe brauchen. Wir verneinen und machen uns erneut auf dem Weg. Es wird immer später, doch die erlaubten Parkplätze sind alle belegt. Bei Budapest blockieren wir für eine kurze Pause den Parkplatz und dann geht es weiter. Die erlaubte Lenkzeit von 10 Stunden ist schon lange überschritten, doch was bleibt und übrig? Wir sind relativ fit uns so durchqueren wir ganz Ungarn – der Hilfstransport rollt. Ein Hintergedanke ist, dass wir unbedingt vor dem großen Pulk, der in Nickelsdorf „freigelassen“ wird, an der Grenze nach Rumänien sein müssen. Sonst werden wir dort ewig warten.
Nach Mitternacht erreichen wir voller Spannung die rumänische Grenze. Was wird uns hier wohl erwarten? Nur wenige Lkws sind vor uns. Doch alles Rumänen und Bulgaren. Wir wissen immer noch nicht definitiv, ob wir einfach einreisen dürfen oder als Deutsche direkt in die Quarantäne müssen. Endlich sind wir dran. Ich gebe Pass und Fahrzeugschein ab. Erster Kommentar: Ob ich einen Kugelschreiber für ihn hätte? Natürlich. Ich gebe ihm einen guten Kugelschreiber, er schaut ihn genau an und ist begeistert. Ob ich für seinen Kollegen auch noch einen hätte. Natürlich! Und für den anderen Kollegen auch noch. Natürlich auch für ihn!
Er liest am Computer noch die Pässe ein, gibt sie mir zurück und wünscht uns gute Reise.
Müde rollt der Hilfstransport nach Rumänien rein. Die erste Ausfahrt ist durch die Polizei gesperrt, und so müssen wir weiter bis Arad. Dort übernachten wir bei Lipova auf dem großen Schotterparkplatz hinter der Petrom. Der Parkplatzwächter kommt noch vorbei, möchte aber kein Geld, da wir ein Hilfstransport sind. Das gab es auch schon lange nicht mehr…
Wir schlafen aus, dann geht es weiter Richtung Moldawien. Wir nutzen die alte Bundesstraße, kaufen in Deva noch frisches Brot und dann geht es nach dem Mittags-Vesper auf die Autobahn Richtung Sibiu.
Das Telefon klingelt. Kein normaler Anruf, sondern per Viber. Das kann nur einer sein: Unser Partner aus Moldawien. Ich höre schon an der Stimme, dass etwas nicht stimmt. Frage mich jedoch, was es sein könnte, denn gestern hatte ich die Einfuhrgenehmigung von ihm per Mail erhalten.
Er erzählt mir, das Moldawien heute Morgen ein neues Gesetz verabschiedet hat. Geplant war, das nötige Mindesthaltbarkeitsdatum, welches Lebensmittel bei der Einfuhr als Hilfsgüter haben muss, von drei auf einen Monat herabzusetzen. Stattdessen wurde es auf 6 Monate erhöht. Das trifft uns. Keine Einfuhr nach Moldawien möglich. Und es gebe auch keine Möglichkeit, eine Ausnahme für uns zu erwirken, da die zuständigen Beamten in Quarantäne seien. Kurz, wir können nicht nach Moldawien. Trotzdem sind wir dankbar, dass wir diese Nachricht jetzt erhalten. So sind wir noch keinen Kilometer unnötig gefahren.
Also heißt es umdisponieren. Ich bin dankbar, dass ich das andere Zollverfahren gewählt habe. Die nächsten 50 Kilometer wird telefoniert, und als wir wie geplant am Abend bei der Diakniestation ankommen, ist alles in trockenen Tüchern. Eigentlich wollten wir nur ein paar mitgebrachte Privatpakete abladen, doch nun bekommen sie auch ein paar Paletten Lebensmittel.
Während Dominik ablädt, erstelle ich neue Papiere. Wir haben über ganz Rumänien verteilt, vom Norden bis nach Süden, 8 Abladestellen. Dominik hat ein paar mehr als ich, dafür habe ich die deutlich weitere Strecke nach Suceava. Plan ist, dass wir uns am Freitagabend oder Samstagvormittag wieder vor der rumänischen Grenze auf dem gleichen Parkplatz, wo wir jetzt übernachtet hatten, treffen. Denn ich will unbedingt vor dem nächsten Montag wieder in Österreich sein, denn oft verschärfen sich Dinge montags.
Ich fahre abends noch bis Braşov und gebe dort bei Freunden ein paar Privatpakete ab, während Dominik den Abend frei hat und am nächsten Morgen in Burgberg bei unserem Verteilzentrum ablädt.
Nachmittags kommen ich dann irgendwo im Nirgendwo bei Suceava in Nordrumänien an. Bei der Gemeinde stehen schon 50 Leute und ein Radlader mit Palettengabeln von der Stadtverwaltung bereit. Viele Hände, schnelles Ende: Gemeinsam wir angepackt und so wird der ganze Lkw in Rekordtempo freudig und dankbar abgeladen. Schon am späten Nachmittag kann ich mich mit lieben und dankbaren Grüßen wieder auf die Rückreise machen.
Dominik hat heute drei Abladestellen, die alle auch gut klappten. Nur bei der letzten kam am Ende noch die Polizei, da die Jugendlichen beim Abladen etwas laut waren.
Am Freitag hat Dominik noch eine letzte Abladestation bei der Suppenküche, die wir unterstützen. Ich selber überquere wieder die Karpaten, auf denen ich schön auf einem Pass in der Natur übernachtet hatte. Mittags treffe ich mich noch mit einem Freund, lade noch ein paar letzte Paletten ab und schaffe es nicht mehr ganz bis zum vereinbarten Treffpunkt mit Dominik.
Doch am Samstag am Vormittag treffen wir uns wieder wie ausgemacht, der Weg zur ungarischen Grenze ist kurz. Ohne jegliches Problem überqueren wir diese, es gibt diesmal auch keinen Plan, wo wir nicht fahren dürfen. So geht es immer weiter in Richtung Heimat. Kurz vor Budapest treffen wir noch einen Bekannten. Am frühen Abend überqueren wir genauso problemlos die Grenze nach Österreich, keine Kontrolle wegen Corona, einfach fahren. Auf der Gegenspur hat sich der Stau, der am Nachmittag noch 50km lang war, weitgehen abgebaut. Das hatten wir gemerkt, denn ab Budapest kamen uns die Lkw dicht an dicht entgegen. Auf der Standspur, wo normal die Lkw warten, standen diesmal Pkw.
Unser Ziel, der Rasthof Göttlesbrunn ist überfüllt, so fahren wir noch bis zum Rasthof Schwechat, wo wir gerade so ein Plätzchen für unsere beiden Lkws finden.
Am nächsten Tag fahren wir gemütlich durch Österreich, tanken günstig voll und trennen uns bei München. Dominik macht noch eine Abholung, ich bringe den Lkw zur Werkstatt.
Und so kommen wir am nächsten Tag wieder dankbar und wohlbehalten zu Hause an.